Elisabeth Endres

Zeichnungen. Märzhasen und andere Möglichkeiten

Die Künstlerin Elisabeth Endres ist bei aller Vielseitigkeit in erster Linie eine Zeichnerin. Die kompositorische Ausgeglichenheit ihrer Arbeiten kontrastiert allerdings mit der verstörenden Wirkung ihrer Motive. Mit Vorliebe führt die Künstlerin hinter die Oberfläche der Erscheinungen, in die verschattete Sphäre des Unterbewussten, wo, die Francesco Goya es sagte, der Traum der Vernunft Ungeheuer gebiert. Elisabeth Enders arbeitet völlig intuitiv – besonders gerne auf vorgefundenem Bildmaterial. So überzieht sie die Seiten eines St. Petersburger Auktionskatalogs aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit einer Schicht aus heißem Wachs, auf die sie vielschichtig malt. Das darunterliegende Bild wird dann teilweise ausgekratzt und somit zur Fundgrube und zum Impulsgeber für neue Bildideen. Ein quasi archäologisches Verfahren, das an die Techniker der Dadaisten und Surrealisten erinnert. Der Mensch erscheint bei Elisabeth Enders als ein hochgradig fragiles, existenziell gefährdetes Wesen. Häufig fragmentiert oder in einer Situation mühmsam gesuchter Balance. Unsicher nach immer neuen Standortbestimmungen tastend, bleibt die Figur unkalkulierbaren Kräften ausgeliefert. Sie ist nicht unbedingt Herr ihrer Bewegung, nicht im Vollbesitz des eigenen Körpers und scheint unsichtbaren Kräften unterworfen zu sein. Wer in den Bildern Elisabeth Enders vorrangig Ängste und Bedrohungen wahrnimmt, verkennt die künstlerische Freude an der burlesken Camouflage. Die Künstlerin nimmt lustvoll an einem Rollenspiel teil, in dem die große Welt zur Miniaturbühne schrumpft. (Kunstraum Vincke-Liepmann 2018)